Das Problem, der Spruch, die Lösung. Aphorismen in Beratung, Therapie und Supervision
Das Buch ist originell, der Lösungsoptimismus wirkt sympathisch! Die „Universalmethode“ sollte allerdings nicht verführen, mit der Deutung von Sprüchen über die Beratung hinaus zu greifen.
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Verlag: Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht
utor: Kühling LErschienen: 2015
Zum Inhalt
Das Vorwort des Sozialwissenschaftlers Herwig-Lempp weist auf die antiken Wurzeln der Sprücheberatung hin, seine Beispiele König Krösus und König Laios stellen allerdings keine „Erfolge“ dar: Im einen Fall kommt es zu einer Fehlinterpretation und im anderen Fall zu einer self-fullfilling prophecy, die ins Verderben führt..
Der Autor ist Philosoph, empirischer Kulturwissenschaftler und systemischer Familientherapeut. In seinem Buch geht der Autor zunächst der Bedeutung von Sprüchen nach, ihrer Stellung in psychosozialen Kontexten, ihrer bedeutungsverleihenden Funktion aufgrund konstruktivistischer Überlegungen, der Affinität systemischer Beratung zur philosophischen Praxis. Bezüglich Letzterem verwendet der Autor die 29 Thesen von Thomas Stölzel zur Charakteristik philosophischer Praxis und vergleicht sie mit der systemischen Vorgangsweise und Schwerpunktsetzung.
Das Herzstück des Buches sind die auf 80 Seiten ausgebreiteten (86 aus 1500) ausgewählten Sprüche und die dazu gehörenden Kommentare . Auf Seite 115ff mutiert die interessante, amüsante Lektüre zur Sprüche-Beratung als „Universalmethode“. Die (entsprechend kurztherapeutischer Terminologie so bezeichneten) Kunden schildern zunächst das Problem, wobei sie allerdings lösungsorientiert sind und Ziele formulieren; dann wird eine Zufallskarte gezogen ( die 86 Aphorismen sind auf den dem Buch beigegebenen Kärtchen ablesbar) und dann beginnt die „Lösung“. Sie besteht in einer gemeinsamen Hermeneutik, die unter Nichtphilosophen oder Nichtpsychotherapeuten, Nichtanalytikern nicht unproblematisch ist. Man rekurriert auf den Common Sense bzw. auf das einem Naheliegende (das auch eine bequeme Vermeidungslösung sein kann, ein fauler Kompromiss, eine Unterwerfung unter fremdes Diktat usw.). Ein „Witz“ mag die Situation klar darstellen: Seine Eminenz besucht die Pfarre und erhebt die religiösen Aktivitäten. Im Zuge dieser Recherchen stößt er auch auf die Bibelrunden. „Wie gehen Sie mit der Ausdeutung der Bibel um?“ fragt der hohe Gast. „Wir lesen die Bibelstelle vor und formulieren, wie wir sie verstehen.“ „Und, was Sie nicht verstehen..?“ „Das erklären wir uns gegenseitig!“ Dies alles tangiert den Therapeuten nicht, der in typisch kurztherapeutisch-systemischer Manier den Kunden als „kundig“ und lösungskompetent erachtet (Seite 121f).
Der Rezensent hat die Methode in Selbstanwendung „geprüft“. Er hat die Frage, ob er ein Angebot für die Abhaltung eines Ausbildungslehrganges für Psychotherapie übernehmen soll. Er zieht den Spruch des düsteren Dichters Kafka: „Das Glück, das dir am meisten schmeichelt, betrügt dich am ehesten!“ Die „paranoide“ Erstreaktion: Aha, eine Falle, die mit Eitelkeit rechnet! Genauere Prüfung des Sachverhaltes kann diese Behauptung nicht verifizieren, aber immerhin war es sinnvoll darüber nachzudenken, welche sinnvollen und welche problematischen Motivationen des Rezensenten für die Angebotsannahme oder –ablehnung sprechen. Ergänzung des „Experiments“: Tippen auf eine Textstelle in einer Tageszeitung ergibt:“ Erste Stromtankstelle eröffnet!“ Also, sinniert der Rezensent, es geht um eine Energieabgabe in neuer Form. Die Frage der Angebotsannahme wird zur Frage der Energie. Was kann aufgebracht und wie abgegeben werden? Eine sinnvolle Fragestellung.
Das Buch ist gefällig, die Idee mit den Aphorismen (als verdichtete Sinnsprüche) spricht an – das ist der Zauber des Buches und zugleich seine Falle: Auch wenn viele Möglichkeiten einer ressourcenorientierten Sprücheberatung und ein systemischer Methodenkoffer vorgestellt werden, es gibt zahlreiche Warnschilder auf dem Weg zur praktischen Umsetzung: Es bleibt unerwähnt, dass die Verwendung von Textbausteinen (vom Ausschnitt aus der Tagespresse bis zum ehrwürdigen alten I Ging) jeglicher Art als Projektionsmedium dienen kann; der Hinweis auf projektive Methoden – ihre Chancen und Gefahren – fehlt; die Kommentare bilden einen nicht unproblematischen Interpretationsrahmen.
Trotzdem: Das Buch ist originell, der Lösungsoptimismus wirkt sympathisch! Die „Universalmethode“ sollte allerdings nicht verführen, mit der Deutung von Sprüchen über die Beratung hinaus zu greifen.
Als Aktivierungsmittel für Seminare, als „Eisbrecher“ für Sitzungen, als Einstieg für Therapien, als Hinführung zu einer (philosophischen) Beratung und als Stoff zum persönlichen Nachdenken ist der Slogan „Das Problem, der Spruch, die Lösung!“ ein anregender Impuls und eine ermunternde Aufforderung, die neue Fragen aufwirft!