Wie das Krokodil zum Fliegen kam. 120 Geschichten, die das Leben verändern.
Womöglich könnte es sich lohnen, nach jeder Geschichte - und vor dem Lesen des Kommentares - innezuhalten
Autorin/Autoren: Lamprecht K, Hammel S, Hürzeler u Niedermann M
Verlag: München: Reinhardt
Erschienen: 2015
Zum Inhalt
Die Autorin und die drei Autoren haben Texte gesammelt, um mit diesen therapeutische Wirkungen zu erzielen, wobei sie Themen der Lebensbewältigung angeben, die sich ihrer Meinung nach mit der jeweiligen Geschichte verknüpfen lassen und durch angehängte Kommentare konkretisiert werden. Das Geschichtenbuch ist gut gegliedert in acht Themenblöcken (Auf Sinnsuche, Gesundheit entdecken usw.), mit Stichwortverzeichnis und alphabetischem Verzeichnis der Geschichten.
Problematisch erscheint dem Rezensenten, dass einerseits eine große Liberalität bekundet wird (Seite 9: "Jede Geschichte mit einer Pointe- und wohl auch manche ohne Pointe - kann zu einer therapeutischen Geschichte werden", Seite 11:" Märchen und Fabeln, poetische und philosophische Betrachtungen, .." eröffnen ein Kino im Kopf. Und nochmals Seite 9:"..statt ´therapeutisch` könnten wir auch ganz einfach absichtsvoll oder nützlich sagen").
Andererseits werden Deutungen nahegelegt, die in dieser Stringenz der Zuordnung und behaupteten therapeutischen Wirkung nicht ganz nachvollziehbar sind. Z.B. Mutter und Sohn auf dem Weg in den Urlaub streicheln nochmals die Haus-Katze. Etwas später entdeckt die Mutter auf den Kleidern des Sohnes Katzenhaare und beginnt sie abzuzupfen. Der Sohn entgegnet: " Aber Mama, ohne Katzenhaare ist man nicht richtig angezogen!" Kommentar zur Geschichte: "Menschen, die unter Allergien leiden, sehen sich häufig als Opfer der Pollen und Allergene. Diese Geschichte erleichtert es besonders Kindern, eine Umdeutung vorzunehmen und den Fokus von `schlecht` auf ´gut` zu legen." (Seite 43). Eine rasche, elegante Lösung des Allergieproblems?
Ein anderes Beispiel (Seite 122): "Vor Kurzem erzählte ein Architekt, er baue zunehmend rollstuhlgerechte Häuser für junge Familien. Immer wieder werde dieser Wunsch an ihn herangetragen, diese Vorsorge heutzutage sei doch bewundernswert. `Das stimmt`, antwortete ich, `je früher wir mit dem Altwerden anfangen, desto eher haben wir was davon.` Im Kommentar heißt es dazu:" Im Zusammenhang mit dieser Geschichte kann man darauf verweisen, dass sich die Gesundheitswerte bei alten Menschen signifikant verbessern, wenn sie leben wie in ihrer Jugend."
Ist damit der Fitness-Kult gemeint? Oder die derzeitige Orientierung an der Jugend?
Ein drittes Beispiel (Seite 88f). In "Mit Begeisterung scheitern" gibt der Erzähler eine unrichtige Auskunft und wird durch einen Kollegen darauf hingewiesen und berichtigt. Der Erzähler, der sich sehr schämt, wird durch einen Freund getröstet:" Aber du hast es mit Liebe und Begeisterung falsch gemacht!" Diese Äußerung bewirkt, dass es ihm wieder besser geht. Im Buch wird zugeordnet Fehlerkultur, Identität, Perfektionismus, Angst vor Blamage etc., aber eigentlich erfolgt ein Plädoyer für die Gesinnungsethik, deren Möglichkeiten und Grenzen diskutiert werden müssten.
Wenn man die konkret vorhandenen Geschichten (manche vielschichtig, andere sehr nahe an der Deutungsoberfläche und durchsichtig) und die mit ihnen behauptete Verknüpfung mit Lebensfragen und therapeutischen Effekten (Seite 14: Belastungsreduktion, Abschwächung von traumatischen Erlebnissen etc.) kritisch hinterfragt, Deutungen nicht einfach übernimmt, sondern das eine oder andere Thema im eigenen Leben aufspürt und dem Rat der Autoren selbst folgt: "So bitten wir Sie beim Lesen der Geschichten im Blick zu behalten, dass jede Geschichte für jeden, der sie liest oder hört, etwas anderes bedeutet. Womöglich könnte es sich lohnen, nach jeder Geschichte - und vor dem Lesen des Kommentares - innezuhalten und zu überlegen, was einem die Geschichte zu sagen hat und wo und wie man sie selbst einsetzen würde", Seite11) kann die Auseinandersetzung mit dem Buch und seiner umfangreichen Materialsammlung fruchtbar werden. Hinsichtlich der therapeutischen Bewährung der Geschichten wären Beobachtungen interessant: Ist es die Zuwendung beim Erzählen oder der Inhalt der Geschichten oder beides, was als therapeutisches Agens wirkt?
Der Autorin und den Autoren kann man zurufen, dass ihre Deutungen auch Geschichten sind - was sie sicher akzeptieren können! Denn sie sagen selbst (Seite 15):" Unser Leben als Einzelne sowie als Gemeinschaft bringt jeden Tag Geschichten hervor, die ihrerseits wieder auf das Leben zurückwirken, sodass Geschichten immer weiter Geschichten nach sich ziehen."