Kriegserbe in der Seele. Was Kindern und Enkeln der Kriegsgeneration ..
Die Autoren erleichtern das Verständnis für die Eltern und Großeltern und können so helfen, manches Irritierende der älteren Generationen zu begreifen
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Weinheim: Beltz.Reihe Wissen und Leben utoren: Baer U u Frick-Baer G
Erschienen: 2015
Zum Inhalt
Die Autorin und der Autor haben eine Zukunftswerkstatt „therapie kreativ“ entwickelt und sind seit längerem traumatherapeutisch tätig. Schon ihrem „Buch der Gefühle“ zollte der Rezensent Lob für die essayistisch-ästhethische Aufbereitung der Information. Auch das vorliegende Buch ist angenehm zu lesen. Die Autoren breiten eine Vielfalt phänomenologischer Darstellungen von persönlichen Fragen aus: Wie Sie sich besser verstehen, ob es sich nun um Angst, Verlust oder Blockade der Fähigkeit zum Trauern, oder um Leistungsdruck, Schuldgefühle ohne Schuld u.v.a.m. handelt. Immer bildet die Reflexion der Kriegseindrücke und schrecklichen Erlebnisse die Folie, auf deren Grund Interpretation stattfindet.
Die Autoren erleichtern das Verständnis für die Eltern und Großeltern und können so helfen, manches Irritierende der älteren Generationen zu begreifen: Ihr Schweigen, ihre Heldengeschichten, ihre Risikovermeidung u. a. m. – alles auf dem Hintergrund der Kriegsereignisse.
Die weiteren Kapitel des Buches beschäftigen sich mit der Suche nach Erklärungen, mit dem Versuch, aus der pathogenen Spur heraus zu treten und anhand verschiedener Übungen die eigene Personwürde hoch zu halten. Abschließend wird auf einige wichtige Fragen eine kurze, bündige Antwort gegeben, z.B. was ist ein Trauma? Antwort: Bezeichnung für bestimmte besonders schwere seelische Verletzungen..( Seite 180).
Besonders wertvoll findet der Rezensent die Arbeit am inneren Kern (Seite 174), der durch die traumatischen Ereignisse verletzt werden kann und einer heilvollen Gestaltung bedarf.
Die Annahme, dass die gesellschaftliche Realität, wie sie der jeweilige Mensch bzw. Jahrgang in seinem Lebenslauf vorfindet, sicher einen prägenden Einfluss auf sein Verhalten hat, ist nachvollziehbar. Alle 15 Jahre wird eine neue Kennzeichnung vorgenommen: Beginnend 1925 werden unterschieden die skeptische Generation (die Nachkriegsgeneration), die 68er Generation (Wirtschaftswunder und Protest), die Babyboomer (Postmaterialismus), die Generation X (orientierungslos und hedonistisch), die Generation Y (Ungewissheit und Sinnfrage; das Y wird im Englischen als "why" ausgesprochen) und die Generation Z (Regellosigkeit und Selbstbestimmung). Diese soziologische Typisierung ist beim vorliegenden Buch nicht der bestimmende Fokus, sondern überwältigende, schockartige Situationen oder pathologisch chronische Einflüsse, die das Denken, Fühlen und Handeln der vom Krieg gezeichneten „Täter“ und „Opfer“ nachhaltig formen. Die Autoren schaffen einen Verständniszugang zur irritierenden, verwirrenden, belastenden Verhaltensweise der Kriegs- und Nachkriegsgeneration. Beispiele für die Suche nach klärender Kommunikation z.B. mit dem Vater finden sich zahlreich. Auf dem Pfad in die Vergangenheit helfen manchmal Bilder, Kleidungsstücke oder andere Symbole, Licht und Klarheit in Diffusion zu bekommen, Lücken in der Narration zu schließen, Konturen bei einer verschwimmenden Identität zu gewinnen..
Das Buch legt eine Deutung verschiedener Befindlichkeitsstörungen und seelischen Belastungen aus dem Kriegskontext nahe, zwingt aber nicht dazu. Das Verstehen gegenwärtiger problematischer Handlungs- und Verhaltensweisen aus den prägenden Erfahrungen des Kriegs und der Nachkriegszeit hilft, diese negativen Konditionierungen aufzubrechen. Die Autoren sind aber sehr vorsichtig mit diesen Interpretationen und lehnen es ab, spezielle Erkrankungen pauschal als Ergebnis von Traumaweitergabe zu erklären (Seite187f). Sehr wohl kann aber im Einzelkontakt eine Verbindung zwischen dem Leiden der Kriegsgeneration und ihren „Erben“ bedacht werden.
Das Buch stellt eine originelle und zugleich sehr nachdenklich stimmende Anwendung des systemischen Gedankens „Unverständliches wird verständlich im passenden Kontext“ dar! Dass es gerade die so wichtigen Spiegelneuronen sind, die durch Empathie mit den Eltern mitwirken an der Traumaweitergabe von Generation zu Generation, vertieft die Nachdenklichkeit. Und wir verstehen den Appell der Autoren, etwas für die nächste Generation zu tun dadurch „dass der Kreislauf des Leidens durch die Weitergabe von Traumata unterbrochen wird!“ (Seite 188),
Kleiner Zusatztipp: Um kognitiv betonte Menschen anzusprechen, sollten einige Erkenntnisse der systemischen Forschung nicht unerwähnt bleiben, z.B. die Mehrgenerationenverträge bzw. unsichtbaren Bindungen..Und für die Praktiker sollte der Hinweis nicht fehlen, dass die scheinbare Mühelosigkeit der vorgestellten Übungen in Wahrheit nicht existiert, sondern eine hohe therapeutische Kompetenz erfordert.
Alles in allem: eine gewinnbringende Lektüre für die „Begegnung der Generationen“ !