Philosophieunterricht. Eine situative Didaktik.
Im Vorwort sieht Schnädelbach das schwinden, was noch für Kant definitorisch galt: Philosophie als Inbegriff dessen, was jedermann interessiert (Seite 18). Die Themengebiete sind geschrumpft und interessieren nur mehr Spezialisten.
Buchtitel: Philosophieunterricht. Eine situative Didaktik.
AutorInnen: Fröhlich M, Langebeck K u Ritz E
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Erschienen: 2014
Die Philosophie wird verwissenschaftlicht und nicht mehr zum Ort des Selbstdenkens. Dem setzen die Autoren ein Konzept entgegen, bei dem ein Mittelweg zwischen erfahrungsabgehobener Erörterung von Prinzipien, Konzepten und Methoden und strukturverwischender Narration gesucht und in Strukturen von Erzählungen gefunden wird. Es werden typische (d.h. strukturierte) Lerngeschichten erzählt und diese Narrationen anhand von Situationen (was die Auseinandersetzung belebt) dialogisch-pragmatisch an die Schüler/innen heran gebracht. Damit gelingt ein weiterer "Spagat": Die situative Betrachtung erfordert Konkretisierungen, eine konkrete Anwendbarkeit. Allerdings werden die Situationen exemplarisch verwendet, was wieder die Entwicklung bzw. Heranziehung von Denkschemata stimuliert. Der konkrete situative Ansatz verbunden mit Beispielhaftigkeit ermöglicht außerdem eine Denkschulung, eine Förderung der Urteilsfähigkeit, und eine Einsatzmöglichkeit von Argumentation im Alltag. In 27 Kapiteln, davon vier Exkursen, werden so ziemlich alle denkbaren Unterrichtssituationen in Frageform aufgegriffen, wie z.B. wie man Philosophie beschreibt, einführt, wie man eine Philosophie-Unterrichtsstunde beginnt, wie man Texte erarbeitet, philosophische Gespräche gestaltet, Positionen miteinander vergleicht, geistige Landkarten erweitert u. v. a. m. Ein Beispiel: Kapitel 1 wirft die Frage auf: Zehn Minuten vor Schluss, und 25 Gesprächsfäden liegen offen - Was kann ich als Lehrerin und Lehrer jetzt tun? Nun folgen verschiedene Anregungen: Impulse zur Würdigung der Reichhaltigkeit der vielen Fragen, oder Impulse für den Fall, dass das Thema klar ist, aber nur Meinungen geäußert wurden; oder das Thema ist zwar klar, aber die Frage, um die es geht, nicht; man möchte die erarbeiteten Inhalte strukturieren oder den Schülern Hilfen dazu geben. So werden die Situationen nochmals differenziert betrachtet, die Tipps erfolgen dialogisch, d.h. es werden Anregungen gegeben, aber keine Antworten gelehrt. Auf Seite 158 f werden Impulse zur dialogischen Inszenierung von Argumentationen gegeben (z.B. Rollenspiele). Es geht um die Förderung des Denkprozesses, des Selbstdenkens und nicht um das passive Rezipieren von Lerninhalten.
Einige Anmerkungen: Manche Anregungen sind sehr komplex, z.B. bitte nennt mir alle Gedanken, die zuletzt geäußert wurden z.B. in Form von Strukturen, Thesen, Fragen, Themen, Bildern.. (Seite 27). Auf Seite 32 wird vor Definitionen gewarnt, wenn nicht vorher die Erfahrung gewürdigt wird und das in keinem geringeren Ausmaß als die Reflexion. In der Folge werden dann verschiedene Andeutungen, Umschreibungen, Hinweise, Beispiele zur Vorstellung des Fachs Philosophie vermittelt - eigentlich auch Definitionen, aber erfahrungsmäßig operationalisiert, angereichert.
Interessant sind die Ausführungen zum Vehikel als Schlüssel zur Eröffnung eines Denkraums (Seite 41). Zur Stimulierung der Auseinandersetzung hilft auch die richtige Fragestellung, auf Seite 53 gibt es sogar eine Aufzählung von Qualitätsmerkmalen für Fragen, die ein Problembewusstsein wecken.
In einem Exkurs wird der Aufbau einer Forschungsgemeinschaft dargestellt. Beim riesigen Erfahrungsschatz der Autoren (über 30 Jahre mit didaktischen Fragen befasst) nimmt man zwar an, dass die Anregungen realisierbar und praxiserprobt sind. Dennoch klingen die Ausführungen hier so idealistisch wie der Club der toten Dichter.
Auf Seite 77 wird die Frage gestellt: Könnte man sagen, dass die eine Person ein reineres Gewissen als die andere hat, oder gilt gerade das Gegenteil? Diese Fragestellung gehört eigentlich nicht mehr zur Philosophie, sondern zur Psychologie oder zumindest in ein Grenzgebiet der beiden. Auch auf Seite 148 ist die Kompetenzformulierung Ich kann erklären, was das für ein Mensch ist, der so handelt. eigentlich eine psychologische. Überhaupt muss an dieser Stelle die Frage aufgeworfen werden, inwieweit in diesem Buch mit dem starken Erfahrungsbezug der Philosophie die Psychologismus-Debatte erwähnt werden müsste und di Abgrenzung vom Anspruch, die grundlegendere Wissenschaft zu sein.
Wertvoll sind sicherlich die Visualisierungen von Fragestellungen, Beispiele dafür gibt es von Seite 90 bis 96. Es erhebt sich, insbesondere beim letzten Beispiel (Nietzsches Moral) die Frage, inwieweit die Schaubilder per se verstehbar gestaltet werden sollten oder so wie beim vorliegenden Beispiel nur mit dem Hintergrundwissen verständlich sind (Seite 96). Wertvoll sind die Denkmodelle, mit denen Erfahrungen und Wissen strukturiert werden, Dazu gibt es auch wertvolle Fragen (Seite 101).
Originell ist auf Seite 135 die Aufstellung von Teilfunktionen, die von Subgruppen eines Plenums übernommen werden könnten (z.B. Materialsichtung, Recherchen..)
Auf Seite 189 gibt es die Anweisung Erstelle einen Steckbrief des Autors. Eine Forderung, die man auch auf das Buch anwenden kann: die Angaben zu den Autoren sind sehr verhalten-auch, wenn man an die unter Philosophen nicht unübliche Praxis denkt, den Gedanken mehr Raum zu geben als dem Denkenden.. Gerade, wenn man eine dialogische Beziehung errichtet, interessiert auch das Gegenüber als Mensch..
Es gäbe noch Vieles, das in diesem Buch angesprochen wird, die Beispiele mögen aber genügen, um zu dem Urteil zu kommen:
Hier liegt ein Buch vor, das eine Lücke schließt (die Autoren werden in ihrer Bescheidenheit sagen, es bleibt noch vieles offen), nämlich die Vermittlung von Philosophie auf eine Art, die selbst ein Beispiel für philosophisches Vorgehen darstellt. Die das Kunststück schafft, Inhalte komplett prozesshaft zu vermitteln! Ein Werk, das viele Fragen formuliert und dennoch eine große Antwort liefert auf das selbst verordnete Rezept des Buches: Prüfe deine Maßnahmen auf Situationsangemessenheit. Prüfung bestanden! Ausgezeichnet!