Sterben und Gelassenheit
Von der Kunst, den Tod ins Leben zu lassen
Das Buch wird vor allem für Menschen, die in einem Glauben, einer Religiosität oder einer spirituellen Überzeugung verankert sind, eine starke Bestätigung bieten, und auch eine glaubhafte - um die letzte Geborgenheit wissende - Gelassenheit erstrebenswert machen...
Buchtitel: Sterben und Gelassenheit. Von der Kunst, den Tod ins Leben zu lassen.
AutorInnen: Bergemann V, Berthold D u Hillmann M
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Erschienen: 2014
Zum Inhalt
Die Autorin und die Autoren vereint die Erfahrung mit dem Hospiz- und Palliativbereich. Hier ist - wie im Vorwort der Autoren angemerkt - Loslassen zu einer "Zauberformel" geworden: Damit ist nicht der Verlust von Lebensfreude verbunden, im Gegenteil, wenn Befürchtungen und Ängste schwinden, kann man sich der Fülle des Lebens zuwenden. Die Autoren wählen die Form eines Dreiergesprächs. Erste Bedenken des Rezensenten (solche protokollierten Spontanäußerungen sind oft höchst redundant und stilistisch schwer zu ertragen) werden rasch zerstreut: Der Meinungsaustausch verläuft auf hohem stilistischen und informativen Niveau und ist zudem spürbar authentisch. Im eigenen Vorwort plädiert Heller (Institut für Palliativ Care und Organisationsethik, Wien) für eine Lebenshaltung frei von konventionellen Erwartungen und strukturellen Abhängigkeiten und für eine tägliche Übung der Gelassenheit die dem Alltag abgerungen werden müsse (Seite 10).
In 15 Kapiteln entfalten die Autorin und die Autoren ihre thematischen Assoziationen zur Gelassenheit und stellen sich dabei folgenden Fragen: Warum ist das Sterben so bedrohlich? Wie gehen wir mit unserer Angst vor dem Tod um? Was verstehen wir unter Gelassenheit? Welche Rolle spielt Demut für die Gelassenheit? Welche Rolle spielt der Sinn für die Gelassenheit? Wie können wir Gelassenheit angesichts des Todes erlangen? Was trägt uns noch, wenn so viel gelassen wird? Wie können wir Gelassenheit schon im Alltag einüben? Wie können wir unsere Gelassenheit vertiefen? Welche Vorbilder und Symbole gibt es für Gelassenheit? Welche Bedeutung hat Gelassenheit im Umgang mit Trauer? Wie drückt sich Gelassenheit in Begegnungen aus? Wo liegen die Grenzen der Gelassenheit? Warum ist von der Liebe nicht zu lassen?
Das Buch ist getragen von einprägsamen religiös motivierten Gedanken zur Akzeptanz des Todes, einige Beispiele: man muss die eigenen Gedanken zum Tod im Selbst integrieren, damit man erkennt, dass der Tod einen Sinn hat (Seite 18),man muss entsprechend der eigenen Bestimmung leben (Seite 26); der Weg zum letzten Lassen führt über die Demut zu einer "schlichten Hingabe an das Schicksal"(Seite 35); ein eindrucksvolles Bild liefern Trapezkünstler "Bevor sie aufgefangen werden können, müssen sie loslassen. Sie müssen der Leere des Raumes ins Gesicht sehen" (Seite 73); Spiritualität hilft und es gibt viele Wege, das "Numinose" (der Ausdruck wird nicht erklärt; er bedeutet so viele wie die Aura des Heiligen, die Atmosphäre des Göttlichen) erfahrbar zu machen (Seite 78); man soll in dieser Welt sein, aber nicht von dieser (Seite 104); man kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand (Seite 108).
Es gibt aber auch Hinweise, die nicht spiritueller Natur sind: z.B. der Mensch kann innere Gelöstheit entwickeln durch ein optimales Maß in seinem Verhalten (Seite 50); es gibt eine Pragmatik der Gelassenheit, nämlich eine bessere Immunlage (Seite 51); der Stille ist ein ganzes Kapitel gewidmet; andererseits braucht man auch die Möglichkeit , seine Gefühle auszudrücken (Seite 81f); hilfreich ist nicht nur eine vorausschauende Gelassenheit, d.h. die Vorbereitung auf schwierige Situationen, sondern auch eine rückschauende Gelassenheit (eine Art positiver Lebensbilanz) (Seite 131f).
Die Autorin und die Autoren wissen, dass über das eigene Mögliche hinaus ein Grenzüberschritt ins Metaphysische, Religiöse notwendig werden kann (Seite 234), dass viele Menschen in Angst und Zweifel sterben und Gelassenheit ein Geschenk ist, unverfügbar (Seite 135).
Das Buch schließt mit einem Plädoyer für die den Tod überwindende Liebe.
Interessant sind die abstrakten Bilder, die jeweils ein Kapitel einleiten; zumindest auf den Rezensenten wirken diese Kunstwerke eher wie Zeugnisse der inneren Aufwühlung, des Kampfes, des Zweifels, der Zerrissenheit oder kurz gesagt: nicht so harmonisch wie der Buchtext, und, ob nun an Schüttbilder von Nitsch, oder surreale Darstellungen von Dali erinnernd, keinesfalls gelassen. Möglicherweise haben die Autorin und die Autoren ganz bewusst diese Kontrastbildung angestrebt. Wir kennen die Auswahlkriterien nicht.
Für viele Menschen wirft sich die Frage auf, wie die Endlichkeit überwunden oder gestaltet werden kann: Ist es die zwischenmenschliche Solidarität, die der Absurdität des Lebens und Sterbens mutig trotzt? Ist es eine naturalistische Überzeugung, dass sich zwar alles wandelt, aber keine Energie verloren geht? Ist es eine fatalistische Ergebung in die schicksalshaften Ereignisse wie z.B. eine ewige Kreisbahn, auf der es zur Wiederkehr des Gleichen kommt? Oder ganz anders: eine todverdrängende, genüssliche Ästhetik des Augenblicks? All dies könnte in einer weiteren Auflage als Kontrastfolie dienen.
Das Buch wird vor allem für Menschen, die in einem Glauben, einer Religiosität oder einer spirituellen Überzeugung verankert sind, eine starke Bestätigung bieten, und auch eine glaubhafte - um die letzte Geborgenheit wissende - Gelassenheit erstrebenswert machen. Für andere sind die Symbole, Metaphern, Berichte aus dem Leben eine Herausforderung zur Überprüfung der eigenen Haltung.