Burawoy M (2015): Public Soziology. Öffentliche Soziologie gegen
Marktfundamentalismus und globale U
Burawoy hat dementsprechend viele Impulse ausgelöst. Sein Begriff der "öffentlichen Soziologie" hat ein kräftiges Anregungspotential!
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Verlag: Weinheim Basel: Beltz Juventa
utor: Burawoy M
Erschienen: 2015
Zum Inhalt
Nach einer Einführung in die Thematik folgen drei Teile. Teil A widmet sich der Öffentllichen Soziologie, dem Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft (hier werden 11 Thesen aufgestellt, z.B. die Vielfalt öffentlicher Soziologien).. Teil B behandelt die Öffentliche Soziologie und den soziologischen Marxismus. Teil C beschreibt die Öffentliche und globale Soziologie im Kampf gegen Marktfundamentalismus und Ungleichheit. Von Urban wird als Nachwort die Rolle der Gewerkschaft fokussiert. Tapfer und etwas anstrengend müht sich das Buch mit den männlichen und weiblichen Formulierungen ab, die brav nebeneinander angeführt werden.
Der Rezensent hat Schwierigkeiten mit der für Burawoy wichtigen Schematisierung der Soziologie in vier Typen bzw. Module, Arbeitsweisen, Pathologien etc. Die vier Typen ergeben sich durch vier Eigenschaftswörter: professionell, angewandt, kritisch, öffentlich (z.B. Seite 29), die - nach Ansicht des Rezensenten auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind (als Metapher: Man blickt von oben auf eine bergige Landschaft und vermeint, eine Ebene zu sehen). "Professionell" bezeichnet die durch Berufserfahrung hohe Arbeitsqualität. Burawoy sieht die professionellen Soziologen manchmal in Selbstreferenzen gefangen und im internen Optimierungsstreben verstrickt. Von den anderen werden sie oft als parasitär empfunden. "Angewandt" ist das Markenzeichen derer, die auf Wünsche und Bedürfnisse von außen reagieren und in der Gefahr leben, sich zu sehr nach den Wünschen auszurichten, zu prostituieren. Andere empfinden sie als servil. Eigentlich ist "angewandt" die Umsetzung des Wissens in praktische Konsequenzen, diese Eigenschaft bewegt sich daher auf der Ebene der Pragmatik. "Kritisch" hinterfragen kritische Soziologen ihre Prämissen und Grundüberzeugungen, ihr Blick ist eher rückwärts gerichtet, diese Ebene ist eine axiomatische. Für andere sind die Kritischen oft genug dogmatisch. Schließlich gibt es noch die "öffentlichen" Soziologen. Sie gehen über jene traditionellen Soziologen hinaus, die an der Öffentlichkeitspräsenz interessiert waren; sie blicken mit Respekt auf die "organischen" öffentlichen Soziologen, die sich mit einer evolutionären Selbstverständlichkeit auf den vielen Freiplätzen bewegen, auf denen die Soziologie ihre öffentliche Stellungnahme und ihr aktives Engagement demonstrieren kann. Für die anderen sind sie zu sehr "trendy". Burawoy betont die Wichtigkeit aller vier Soziologie-Typen, wobei er dem öffentlichen Typus die Führungsrolle zumisst. Es fehlt der Hinweis, dass diese Typisierung nicht kategorial gemeint sein kann. Ein Vergleichsbeispiel: Die Sozialpsychologie ist eine angewandte Psychologie, die Annahmen über das Erleben und Verhalten in sozialen Situationen oder Sets kritisch hinterfragt, dabei qualitätsorientiert, professionell vorgeht und idealiter das Fachwissen zur Stellungnahme zu öffentlichen Themen nützt.
Oft scheint die Reputation, der Nimbus, das wissenschaftliche Charisma damit verknüpft, dass man einen neuen Begriff einführt, einen neuen Namen erfindet: Z.B. die Responsivität bei Waldenfels, die Pädagogizität bei Heitger, das "Seyn" bei Heidegger, das Unbewusste bei Freud und seinen Vordenkern, der elan vitale bei Bergson; Gender, Inklusion, Globalisierung u. v. a. m. sind Beispiele für Begriffe, die wichtige Ideen verdichten und transportieren. Bei Burawoy ist es das Wort "öffentlich". Es führt die Praktiker zu neuer Bedeutung der Kooperation. Der öffentlichen Soziologie einen Namen zu geben, verschafft ihr auch Legitimität (Seite 24f).
Zwischen drei Kontrahenten spielt sich der Kampf ab: Öffentliche Soziologie, Markt, Staat. Die öffentliche Soziologie setzt sich dabei ein gegen Marktfundamentalismus und globale Ungleichheit. Es gibt einen anderen Streiter gegen die Ungleichheit. Der Ökonom und Nobelpreisträger Josef Stiglitz: Auch er plädiert gegen die Ungleichheit und für Reformen in der Wirtschaft und Politik. Offensichtlich ist die öffentliche Soziologie nicht allein im Kampf um mehr Gerechtigkeit, sondern unterstützt von einer situationsbewussten Ökonomie.
Das Buch enthält Essays, die zwischen 2004 und 2014 entstanden sind. Es handelt sich um ein dichtes, komplexes Textmaterial. Es enthält alle Ingredienzien eines starken Aufrufs zu neuem Handeln- die Rezension kann nur auf einige Aspekte exemplarisch eingehen: Eine griffige, überschaubare Typologie, in die sich alles einordnen lässt. Der öffentliche Soziologe sieht sich außerdem plötzlich umringt von Erwartungen betreffend Stellungnahmen! Die Zeit ist reif, jetzt muss gehandelt werden, es kommt auf jeden an (man denke an Ernst Bloch, der von philosophischer-literarischer Seite her den kairos betonte). Burawoy hat dementsprechend viele Impulse ausgelöst. Sein Begriff der "öffentlichen Soziologie" hat ein kräftiges Anregungspotential! Das Buch enthält Gesellschaftsanalysen, Kritik, Engagement, insgesamt eine lebendige Auseinandersetzung, aber auch Zündstoff für kritische Fragen an das Konzept der öffentlichen Soziologie!
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