Identität im Zeitalter des Chamäleons. Flexibel sein und Farbe bekennen.
Das Buch ist ein Gewinn, gerade durch seine Multiperspektivität und seinen Detailreichtum wird die Herausforderung, den eigenen Weg zu finden, bewusster, spannender und persönlich ertragreicher!
Buchtitel: Identität im Zeitalter des Chamäleons. Flexibel sein und Farbe bekennen.
AutorInnen: Lippmann E
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Erschienen: 2013
Zum Inhalt
Noch vor der Einleitung ist ein „Multilog“ angesiedelt, der zwischen „Eric“ (offensichtlich der Autor), Matthias (ebenso offensichtlich der Philosophieprofessor Varga von Kibed gemeint), der Filmfigur „Zelig“ (ein menschliches Chamäleon ohne Selbstidentität) und zeitweise dem diesen verkörpernden Schauspieler, Regisseur etc. Woody Allen abläuft.
Ebenso wie diese Namensbezeichnungen schon eine Kenntnis vorwegnehmen, die die Lektüre bei manchen Lesern erst herstellt, sind auch die kommunizierten Inhalte nicht für jeden unmittelbar verständlich. Wer zudem durch „Zelig“ bzw. Woody Allen auf ein spaß-funkelndes Geplänkel mit sanfter Selbstironie eingestellt ist, wird rasch eines Besseren belehrt. So meint z.B. Matthias (auf Seite 13) zu Zelig im wahrscheinlich fiktiven Gespräch: „ Es ist wunderbar, wie du hier das Spiel im Spiel als Film im Film zu einer selbstreferenziellen Aufhebung der paradoxen Zirkel nützt, in denen du dich befindest –hier zeigst du dich, lieber Zelig, ganz auf den Höhen der Anwendung moderner Paradoxientheorie. Denn in der modernen Paradoxientheorie besteht der Sinn einer Paradoxie ja im Oszillationsprozess, den sie auslöst.“ Es geht also um eine sehr ernste Angelegenheit.
In der Einleitung nimmt der Autor den Leser aber viel mehr mit, z.B. wenn er die Spannungsfelder der Identität thematisiert: Personaler Fokus versus soziale Konstruktion, Identität als Sein versus Identität als Werden, Identität braucht Einheit versus Vielfalt als Chance, Identität zwischen den Polen des Bei-sich-Seins versus des Aus-sich-Heraustretens, Identität als Substanz versus Narration, Identität ist ein Problem versus Identität ist eine Lösung. Der Autor wirft die für sein Buch maßgebliche Frage auf: „ Ist es überhaupt noch möglich in einer Multioptionsgesellschaft, in der die verschiedenen Lebenswelten immer vielfältiger werden, eine gewisse Èinheit einer Person zu erfahren mit einer Kontinuität über die Zeit`?“ (Seite 19). Viele Kerngebiete der Identitätskonstruktion fallen weg, eine vorgeburtliche Identitätsfragmentierung droht (wegen der vielfältigeren Kombinationen der Herkunft, bei der Vater und Mutter nur eine Variante darstellen),vieles wird in der Postmoderne vielfältiger und beliebiger. Oder ist diese Vielfalt eine besondere Chance?
Lippmann weist auf die fünf Säulen der Identität hin (allerdings sehr kurz, ohne Erwähnung von H. Petzold, ohne Verweis auf die Motivation, die zu diesem Konzept führte. Zusätzliche Anmerkung des Rezensenten: Bitte Bildbruch auf Seite 31und 165 kitten, gemeint „wie stark die Säulen der Identität verwoben sind“). Diese fünf Säulen lauten: Soziales Netz, Beziehungen; Arbeit und Beruf; Körper und Leiblichkeit; Besitz und Materielles; Glaube, Werte und Sinn. Die fünf Leitthemen der Sinnkonstruktion bilden die Kapitelüberschriften des Buches, nachdem der Film „Zelig“ (ein Mensch sucht seine Identität, wobei ihm seine Gabe der nahezu totalen Anpassung in die Quere kommt) inhaltlich und von seiner Aussage her dargestellt wurde, die Überschriften lauten: Ich liebe, also bin ich; ich arbeite, also bin ich; ich bin da, also bin ich; ich habe, also bin ich und ich glaube, also bin ich. Die Inhalte werden im Abschlusskapitel 4 nochmals verdichtet! Der Autor bringt eine beeindruckende Fülle von Informationen, Gedanken, Konzepten, Impulsen zum Thema Identität, ob es sich um virtuelle Identitäten handelt, oder die innere Familie, das Körperselbst oder den Umgang mit Multivalenzen, die Flexibilität als Korrosionsgefahr für den Charakter oder die Frage, ob es überhaupt ein Selbst gibt, und vieles andere mehr. Lippmann bleibt nicht beim Facettenreichtum seiner Ausführungen hängen, sondern legt auch Spuren, wie man seinen Weg durch all diese Möglichkeiten und Verwirrungen finden kann. Eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang das Chamäleonprinzip: Farbe bekennen und sich anpassen (Seite 88ff). Denn wie das Chamäleon hervorstechende Augen hat, die eine Gesamtschau und doch auch eine Selektion ermöglichen, oder wie es Zangenfüße hat, die Sicherheit beim Bewegen verleihen; oder so wie es einen Wickelschwanz hat, mit dem es sich immer wieder verankern kann, und noch etliche andere Eigenschaften besitzt, so kann auch der Mensch einen Weg durch den Identitätsdschungel finden, indem er eine umfassende Optik mitgleichzeitiger Fokussierung, ein immer wieder Zupacken beim Wandel und eine immer wieder erfolgende Verankerung vornimmt, eine Position einnimmt. Spannungsbalance, Einfallsreichtum, Flexibilität und noch Etliches lassen sich aus der Metapher des Chamäleons ableiten.
Das Buch ist ein Gewinn, gerade durch seine Multiperspektivität und seinen Detailreichtum wird die Herausforderung, den eigenen Weg zu finden, bewusster, spannender und persönlich ertragreicher! Die Fülle der Möglichkeiten ist dabei kein Hindernis, es geht darum, bewusst zu wählen, sich überlegt zu entscheiden – immer wieder. Das Buch macht Lust dazu!